Politisches Taktieren verhindert Zivilklausel-Urabstimmung
Die erste Reaktion: betretenes Schweigen, Raunen und Entsetzen. Denn: Es wird auf absehbare Zeit keine Urabstimmung zur Zivilklausel an der Justus-Liebig-Universität geben. Mit 14 Ja, 13 Nein und 3 Enthaltungen wurde der Antrag zur Urabstimmung in geheimer Wahl abgelehnt (Enthaltungen gelten als Nein-Stimme).
Die antragstellenden Listen waren UnsereUni., UniGrün, Demokratische Linke und sds.dielinke Gießen, zusammen kamen diese auf 13 Sitze. Gehen wir von der hohen Wahrhscheinlichkeit aus, dass diese geschlossen gestimmt haben (immerhin wurde in einem wochenlange Prozess zusammen der Antrag erstellt, eine PM verfasst und Werbung für die StuPa-Sitzung gemacht) liegt es nahe, dass Enthaltungen und Nein-Stimmen nicht nur aus dem konservativen und liberalen Lager kamen (insgesamt 7) sondern auch von der größten un den AStA mittragenden Hochschulgruppe: Den Jusos.
Wie konnte es dazu kommen?
Wie konnte es dazu kommen? Wie konnte eine Liste, die bis vor kurzem noch die Zivilklausel selber in ihrem Programm stehen hatte, der Zivilklausel-Bewegung an der Uni Gießen so einen Schlag ins Gesicht versetzen? Einer Hochschulgruppe, die bundesweit die Selbstverpflichtung unterstützt, manchmal sogar maßgeblich iniitiert hat (wie z.B. in Köln)?
Doch von vorne: Angefangen hatte alles mit einem Ausschuss des Studierendenparlaments, in dem das Wie und Ob einer Urabstimmung ausgelotet werden sollte. Überraschenderweise gestand dort der Vertreter der Jusos ein, dass seine Gruppe sich gar nicht so sicher sei, ob eine solche Urabstimmung sinnvoll wäre – die Diskussion halte noch an. Bis zuletzt – dem Abend des 5.12. muss der Streit darum innerhalb der Gruppe getobt haben – denn entgegen der sonstigen Fraktionsdisziplin gab Felix Döring, der Listensprecher, die Abstimmung „frei“ und überließ es dem Gewissen der Parlamentarier_innen ob sie gegen oder für die Urabstimmung votieren sollten.
Die Vermutung, dass es dann doch am Ende die Jusos waren, an denen die Urabstimmung gescheitert ist, basiert aber weniger auf den Mutmaßungen bezüglich der durch die geheime Abstimmung im Dunkeln gehaltene Verteilung von Nein- und Ja-Stimmen. Mit ihren Fragen an den Sprecher des Arbeitskreises und in der Diskussion machten die maßgeblichen Meinungsführer deutlich, dass sie eine Urabstimmung nicht für nötig erachteteten.
Gegenargumente der Juso-Hochschulgruppe
Folgende Punkte wurden angeführt:
1. An der Uni Gießen finde, so bestätige es ein Brief des Präsidenten, zur Zeit keine „ausschließlich militärische“ Forschung statt. Womöglich würde kein Unipräsident in ganz Deutschland auf eine solche Frage mit Ja antworten – ausschließlich einem Zweck dient kaum eine Art von Forschung – am wenigsten militärische: Forschen in der „Grauzone“ ist seit dem zweiten Weltkrieg eine weltweit angewandte Strategie, Wissenschaft für den Krieg gesellschaftliche akzeptabel und „unsichtbar“ zu machen. Den Arbeitskreis Zivilklausel nach Jahren der Diskussion um die Dual-Use Problematik mit einer solchen Begriffsverwirrung vor den Kopf zu stoßen zeugt entweder von Naivität oder der kalten Berechenung, dem Studierendenparlament unbedingt vorzuführen, dass es keinen akuten Grund – ergo Militärforschung an der Uni Gießen gebe. Ganz zu schweigen davon, dass eine studentische Vertretung dem Wort eines Präsidiums aus Prinzip erst mal kritisch gegenüberzustehen hat.
2.Die Urabstimmung wäre sowieso erfolgreich – warum dann überhaupt eine veranstalten? Auch hier stellt sich wieder die Frage, ob es schlicht und ergreifend politische Dummheit oder berechnende Sabotage ist, die aus diesem Argument gegen eine Urabstimmung spricht. In den letzten Jahren gab es keine Urabstimmung zu Zivilklauseln an Universitäten im ganzen Bundesgebiet, die es nicht in regionale, wie überregionale Presse geschafft hat, beziehungsweise an der jeweiligen Uni heftige Kontroversen ausgelöste. Anstatt daraus also den Schluß zu ziehen, das mit einer solchen Urabstimmung auch an der JLU Gießen erst die Basis für eine breite Auseinandersetzung in der Uni geschaffen werden könne, wird aus dieser Tatsache abgeleitet, dass ja sowieso zwischen „60 und 80“ Prozent der Studierenden dafür stimmen würden – so als hätten sich die Zivilklauselbewegten an anderen Unis völlig umsonst den Arsch aufgerissen, um Wahlkampf für die Urabstimmungen zu machen (wie z.B. in Frankfurt am Main), weil die Leute ja sowieso für eine Zivilklausel seien. Man könne also auch ohne Urabstimmung eine breite Debatte lostreten, bzw. sich für eine Zivilklausel einsetzen (dazu später mehr).
3.Den Studierenden wird zu viel versprochen – sie erwarten die Einführung einer Zivilklausel, die so nicht im Senat durchkommen würde und sind dann enttäuscht. Man habe schon mit Senator_innen geredet und die Lage gecheckt. Es mag befremdlich klingen, aber würden sich die Senator_innen der Realität einer erfolgreichen, gültigen Urabstimmung gegenübersehen – sähe die Sache anders aus. Der Senat müsste sich rechtfertigen, warum die Zivilklausel nicht kommt und das nicht vor ein paar mickrigen studentischen Senator_innen oder AStA-Vertreter_inenn sondern vor den Studierenden der JLU Gießen – den „60-80“ Prozent, die für eine solche Klausel stimmen würden.
4. Die Formulierung der Zivilklausel geht zu weit und nicht weit genug. Dual-Use, also uneindeutige Forschung, von der nicht direkt gesagt werden könne, ob sie militärisch oder zivil genutzt werde, sei in der Formulierung nicht berücksichtigt, so Andreas Schaper, Referent für Wohnen und Soziales. Dazu bleibt nur zu sagen – und wieder wurden die langen Diskussionen des AK Zivilklausel Gießen gefliessentlich übergangen – eine Zivilklausel in der Grundordnung ist nur Grundlage darauf folgender notwendiger und konkreter Maßnahmen, wie z.B. ein in der Diskussion erwähnter Ethikrat oder die vom Arbeitskreis präferierte Klausel in den Drittmittelverträgen wären. Ansonsten schien auch oft durch, dass die (unter Beteiligung eines Jusomitglieds) zustandegekommene Formulierung zu weit ginge – da sie sehr hohe Hürden für die Durchsetzung darstellten. Fakt ist: Der Umfang resultiert daraus, den Studierenden die ganze Tragweite einer Zivilklausel schon in der Formulierung aufzuzeigen und eine umfassende Verhandlungsbasis für die studentischen Organe zu schaffen!
Die Zivilklausel ist politischem Kalkül zum Opfer gefallen
Letztendlich sind alle Gegenargumente – zumidnest die der Jusos – entkräftet worden, und das schon während der Sitzung. Es bleibt für den Arbeitskreis Zivilklausel nur noch eine naheliegende Erklärung für das Debakel: Politisches Taktieren. Denn Fakt ist: Der Antrag zur Zivilklausel kam nicht von den Jusos selbst (auch steht es nicht mehr in ihrem Programm) – ein positives Votum hätte wie ein Sieg der antragstellenden Oppositionslisten und der Grünen ausgesehen.
Fakt ist: Die Jusos erkennen anscheinend an, dass die Zivilklausel ein Anliegen ist, was viele Studierende bewegt, es wäre also im Zweifel auch wahlkampfrelevant, vor allem in Verbindung mit einer Urabstimmung. Das Zugeständis an andere, zumeist oppositionelle Listen, mit der Unterstützung derselben zu werben, wäre ein politischer Nachteil – viele Jusowähler_innen unterstützen die Zivilklausel auch und hätten sich gefragt, warum die Jusos den Antrag nicht mitgestellt haben bzw. nicht so dahinter her waren.
Schließlich: Hätte es zwei Urabstimmungen gegeben, wäre das Wahlkampfgeschenk, die Theaterkarte, die Gegenstand einer zweiten Urabstimmung (kurz vor Deadline der Einreichung von Anträgen im StuPa beim Präsidium eingegangen) war etwas in den Hintergrund gerückt – auch das nicht politisch opportun für die Jusos.
Freundliches Nachtreten nach der Abstimmung
Um dem ganzen die Krone aufzusetzen, wurde kurz nach der verlorenen Abstimmung dem Vertreter des Arbeitskreis Zivilklausel angeboten, die Thematik der Zivilklausel doch trotz der nicht stattfindenen Urabstimmung mit dem AStA weiter zu verfolgen. Abgesehen von der Dreistigkeit, wenige Minuten nach dem enttäuschenden Ende eines jahrelangen Prozesses dieses Angebot zu machen, zeigt sich dabei wieder das politische Kalkül der größten die AStA-Koalition tragenden Liste. Denn am Ende des Tages wird sich der AStA bzw. die Jusos wieder damit brüsten können, sich doch für die Zivilklausel eingesetzt zu haben, man habe immerhin das Angebot gemacht und es ginge ja um die Sache.
Fakt ist aber: Ohne das Votum der Studierenden im Rücken an den Senat hinanzutreten, bzw. mit dem Präsidium oder den Senator_innen Hinterzimmerpolitik zu machen – das hat nichts mit Politisierung der Studierenden, hat nichts mit einer öffentlichen und breiten Debatte zu tun – die für den Arbeitskreis Zivilklausel eine Selbstverständlichkeit politischer Arbeit darstellt. Und so ist es auch fraglich, ob der Arbeitskreis Zivilklausel in dieser Form noch weiterbestehen kann – deutlischer kann die Ablehnung seiner Anliegen durch die größte Hochschulgruppe an der JLU Gießen nicht sein.
An dieser Stelle möchten wir uns bedanken: Bei allen Unterstützer_innen im Studierendenparlament, sowohl jenen die ihre Stimme als auch bei denen, die gekommen waren, uns zu unterstützen.
Sorry, aber sich auf die paar “Hanseln und Hanselinnen” im StuPa zu verlassen war doch von Anfang an der Fehler, oder!!?? Diese hätten anders gestimmt, wenn die Forderung nach einer Zivilklausel in der Studierendenschaft, also der Basis, breit verankert gewesen wäre. So etwas hinzubekommen, ist zugegeben heutzutage traurigerweise bestimmt nicht einfach. Die Investition der politischen Energie wäre im Zweifelsfall aber lohnender gewesen… kurz gesagt: wenn eine kritische Menge von Studis die Zivilklausel will, übt sie so viel Druck auf z.B. die Jusos aus, dass diese sich solches Verhalten nicht mehr leisten können… wenn eine kritische Menge von Studis die Zivilklausel will, bekommt sie sie. Wenn es diese kritische Menge nicht gibt – tja, Gießen im Jahr 2013 halt. Und von den Jusos konnte man eigentlich noch nie irgendwas besseres erwarten, auch das war absehbar.