Zurück aus der Sommerpause: Viele Aufgaben, eine Rückschau und Neuigkeiten
Gießen/Deutschland. Die Diskussion um Zivilklauseln ist in Deutschland unbestritten auf dem Vormarsch. Nicht nur sind überregionale Zeitungen, Fachzeitschriften und Protagonisten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gezwungen, sich zu dem Thema zu äußern, auch sind an vielen Hochschulen Menschen für die Selbstverpflichtung in die Offensive gegangen. An vielen Standorten formieren und festigen sich Initativen, auch wenn oftmals nur wenige Aktive, manchmal nur Einzelpersonen sich dort für friedliche Forschung und eine Hochschule frei von Interessen von Rüstungsunternehmen und Bundeswehr einsetzen. In Darmstadt gar wurde überraschenderweise durch die Universitätsversammlung eine Zivilklausel in die Präambel der Grundordnung eingefügt(1); in Kassel konnte der dortige AK Zivilklausel in der sogenannten „Orientierung für Professorinnen und Professoren“, ein nicht bindendes Richtlinienpapier für die lehrenden Mitglieder der Universität, den Passus einfügen, dass „Forschung, Lehre und Studium an der Universität Kassel ausschließlich zivilen und friedlichen Zwecken dienen“(2) sollen, wobei auf das Wörtchen ausschließlich bezeichenderweise mit Nachdruck bestanden werden musste.
Auch gibt es neue Publikationen zum Thema Zivilklausel: Der nimmermüde Zivilklauselaktivist Dr. Dietrich Schulze hat zusammen mit anderen im Peter-Grohmann-Verlag die Streitschrift „Jetzt entrüsten! Hochschulen: Zukunftswerkstätten oder Kriegs „Dienstleister“?“ herausgegeben und dort Beiträge des Kongresses „Verantwortung der Wissenschaft für Frieden und Zukunftsfähigkeit“ veröffentlicht, einer Tagung, die vom 15. bis 16. Juni 2012 in Karlsruhe stattfand. Dort gibt es neben einem Vorwort des Autors der Sueddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, Beiträge von Rainer Braun, Wolfgang Liebert, Sören Böhrnsen, Lothar Letsche und vielen anderen zu lesen. Dabei geht es sowohl um die Frage nach der (gesellschaftlichen) Verantwortung der Wissenschaft selbst, als auch um spezifische Themen, unter anderem das Dual-Use-Problem, die Drohnenforschung und nicht zuletzt auch die Zivilklausel und ihre Umsetzung. Ein anderes Buch erscheint demnächst im Nomos-Verlag und versammelt unter dem Titel „Zivilklauseln für Forschung, Lehre und Studium Hochschulen zum Frieden verpflichtet“ Beiträge aus der Theodor Eschenburg-Vorlesung 2011 an der Uni Tübingen, einer Vortragsreihe, die anlässlich der Kritik an der Umsetzung der Zivilklausel an der Hochschule zu einer Verständigung zwischen den Befürwortern verschiedener Auslegungen und Gegnern dieser Selbstverpflichtung abgehalten wurde. Eine Kritik dieser höchst unterschiedlichen Beiträge soll an dieser Stelle später noch besorgt werden.
Das alles sind gewiss erfreuliche Nachrichten. Und zumindest für Hessen können wir feststellen, dass an den meisten größeren Universitäten die Diskussion zumindest insofern angekommen ist, dass sich kein an Hochschulpolitik interessierter oder beteiligter sich mehr einer Meinung zu dem Thema enthalten kann. Mit Frankfurt am Main und Darmstadt gibt es sogar schon zwei Zivilklausel-Hochschulen, an denen wichtige Erfolge errungen wurden. Doch umso dringlicher wird das Streiten auch an den restlichen Universitäten, allen voran Gießen, einem Kulminatonspunkt des Bildungsstreiks von 2009 und der Uni Marburg, einstmaliger Hort progressiver Wissenschaft und Hochschulpolitik. Einmal um das Thema aktuell zu halten und weiter in Studierendenschaft, Professorinnenschaft und an die MitarbeiterInnen heranzutragen, das andere Mal da währenddessen, größtenteils geheim, die Forschung für den Krieg an deutschen Universitäten unvermindert weiterläuft.
Was aber konnte der Arbeitskreis Zivilklausel in Gießen bislang an Erfolgen verbuchen und wie sehen die jüngsten Entwicklungen aus? Festzuhalten ist, dass der AK im letzten Sommersemester neue Mitglieder gewinnen konnte und durch die Teilnahme an der Aktionswoche „Ja zur Zivilklausel“ und der an der Gießener Ausgabe der Nachttanzdemo das Thema noch mehr Mitgliedern der Universität bekannt machen konnte. Auch wurden durch den direkten Kontakt an Ständen auf Campus und AStA-Partys Meinungsbilder eingeholt, die wichtig für das weitere Vorgehen und die zukünftige Strategie der Initative sein werden. Dabei äußerten sich die meisten interessiert und postitiv zur Idee einer Selbstverpflichtung, obgleich die Frage der Umsetzung und der Ambivalenz von Forschung stets kontroverse Debatten zur Folge haben konnte. Daher sind wir uns sicher, das bezüglich dieser Themenfelder sowohl die Aufklärung durch den AK Zivilklausel, als auch die hochschulöffentliche Diskussion breiter aufgestellt und intesiviert werden muss. Auf dem „Markt der Möglichkeiten“, einem Orientierungsangebot für Erstsemester, wo sich viele Krankenkassen, Vereine, Banken aber auch Hochschulgruppen, studentische Initativen und der AStA präsentieren konnten, fehlte der AK Zivilklausel leider mit einem eigenen Stand. Dafür wurden an alle die Idee einer Zivilklausel unterstützenden Listen und Organisationen Werbematerial ausgeteilt und Einzelpersonen aus der Hochschulpolitik informierten über die Initative und die Möglichkeiten sich dort einzubringen. Auch konnten in die „Erstie-Tüten“, wie auch zum Start des vorherigen Wintersemesters wieder Infomaterial und Broschüren eingelegt werden und die Neuankömmlinge an der JLU erreichen.
Ein eher unerfreulicher Vorgang ereignete sich in den letzten Wochen des vergangenen Semesters. Eine Einzelperson aus dem Arbeitskreis hatte über einige studentische Senatslisten und die studentische Vertretung des AStAs im Senat der JLU eine Anfrage zum Umfang der Drittmittelaufträge und Stiftungsprofessuren an der JLU gestellt. Letzteres wurde beantwortet, die Auskunft über den Umfang der Drittmittelaufträge blieb die Universitätsleitung den Antragstellern ohne Erklärung oder das vertrösten auf spätere Erhebungen (es muss sich bei jener Drittmittelforschung um sehr viele Projekte handeln!) schuldig. Im Nachhinein stellte sich heraus, dass das Schweigen der Listen zur Vorstellung der Antwort des Präsideten in der Senatssitzung als Zustimmung gewertet wurde – ein ärgerliches Mißverständnis. Prof. Dr. Joybrato Mukherjee hatte aus verständlichen Gründen (angenommen wurde, dass es sich um eine große Liste handele) darauf verzichtet, die Antwort wortwörtlich vorzutragen; in Annahme dass es sich dabei um die Entsprechung beider Anfragen handeln würde, hatte weder die Einzelperson aus dem AK, noch die anwesenden StudierendenvertreterInnen Einwände. Erst im Nachgang wurde klar, dass bloß die 11 Stiftungsprofessuren der JLU Gießen aufgeführt worden waren und sich in der Antwort kein Hinweis auf den ausstehenden Rest zu finden ließ. Auf Anfrage wurden die AntragstellerInnen sodann auf den Bericht des Präsidiums verwiesen und auf später vertröstet, man würde sich um eine noch folgende Aufstellung kümmern. Zudem wurde auf die nunmehr nur noch von der Einzelperson und der Senatsliste Solidarität und freie Bildung gestellte erneute Anfrage der Drittmittelprojekte beigefügt, dass keine zentrale Erhebung der Drittmittelprojekte stattfinde und es daher eine gewaltige Aufgabe sei, die nicht so schnell, wenn überhaupt zu schaffen sei.
Zur Zeit berät der Arbeitskreis Zivilklausel noch, wie auf diese „Enthüllungen“ zu reagieren ist. Sollen neue Anträge und Fragen an den Senat und hochschulpolitische Ausschüsse gestellt werden oder braucht es mehr Druck von „der Straße“, als aus der Studierenden- und ProfessorInnen- der Mitarbeiterschaft, jetzt da der Weg durch die Institutionen erst ein mal durch die Inkompetenz der Universitätsadministration verstellt ist? Und so kommen wir zu den nun anstehenden Aufgaben: Trotz allen Mißverständnissen sollten wir zeitnah wieder in den Dialog mit den Gremien treten(denn es geht zwar nicht nur mit Ihnen aber gewiss nicht ganz ohne sie), Kontakt zu DozentInnen und Mitarbeitern herstellen und auch außeruniversitäre, progressive Kräfte miteinbinden. Auf der anderen Seite muss auch die Studierendenschaft hinter dem Vorhaben stehen: Denkbar wäre eine Urabstimmung noch zu den nächsten StuPa-Wahlen, um den Willen der Studierendenschaft zu einer Zivilklausel sichtbar zu machen, was auch bedeuten würde, dass eine groß angelegte Kampagne von Seminar und Vorlesungsbesuchen, Ständen und kreativen Aktionen im Vorfeld für Stimmung und Werbung sorgen müsste.
Ob all dies gelingt bleibt ungewiss. Am 15. Oktober trifft sich der Arbeitskreis wieder im Cafe Wolkenlos um 20:15 und wird all diese zur Disposition stehenden Entscheidungen überdenken und sich zeitnah entscheiden. Klar bleibt das Ziel: Eine Universität frei vom Zugriff durch Rüstungsfirmen und die Bundeswehr. Für eine Universität als „Zukunftswerkstatt“ für eine dem Frieden als Ziel, Zweck und Lösung verpflichtete Gesellschaft.
Quellen:
(1)http://www.tu-darmstadt.de/vorbeischauen/aktuell/einzelansicht_56704.de.jsp