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„Dual Use“ und darüber hinaus…eine kleine Einstimmung auf den geplanten Vortrag von Wolfgang Liebert

4. Januar 2012

Im Folgenden eine kleine Einstimmung auf den kommenden Vortrag von Dr. Wolfgang Liebert von der TU Darmstadt am 25.1.2012 um 19:00 im Margarete-Bieber-Saal in Gießen Ludwigstraße 34.

Gießen. Seit wir versucht haben, in Gießen erneut die Diskussion um die Einführung einer Zivilklausel anzustoßen und in begrenztem Maße damit auch einige Erfolge verbuchen konnten, mussten wir feststellen,  dass ein  Thema besonders die Gemüter erregt und die Debatte um Grenzziehungen angeführt hat: Dual-Use.

Kurz und auch verkürzt gesagt, handelt es sich bei  als „Dual-Use“ bezeichneten Vorgängen und Gütern um Forschung und die  Ergebnisse von Forschung, die sowohl für zivile, als auch militärische Zwecke eingesetzt werden können, bzw. der Entwicklung beider Bereiche zu gute kommen (sollen). Wenn wir sagen: „Forschung und deren Ergebnisse“ folgen daraus auf den ersten Blick zwei Problemfelder: 1. Woran wird mit welcher Intention geforscht und wie muss man im Sinne einer Zivilklausel darauf reagieren? 2. Welche politische Dimension hat die Ausfuhr von Dual-Use-Gütern in einem Land, dass sowohl im Export, als auch in der Rüstungsausfuhr in den Weltranglisten ganz oben steht und schon öfter wegen dem Handel mit als autoritär und rückständig geltenden Systemen in die Kritik geriet?

Die zweite Frage sei vorangestellt, hat die jüngste Entwicklung doch gezeigt, dass es recht einfach ist, sich ohne großes Stöbern eine Position dazu zu bilden. Zum einen hat die Bundesregierung viel Aufsehen damit erregt, in jüngster Vergangenheit staatlich eingefädelte Waffendeals mit verschiedenen als instabil oder autoritär geltenden Staaten anzuleiern (erinnert sei hier an die militärischen Grenzpatrouillenboote für Angola und den Panzerdeal mit Saudi-Arabien). Zum anderen hat die Bundesregierung versucht, in der Europäischen Union die Ausfuhrgenehmigungen für sogenannte Dual-Use-Güter zu lockern, scheiterte aber bisher damit am Widerstand anderer Länder.

Fast zur gleichen Zeit, beinahe zum Beweis ihrer Unfähigkeit, musste die Bundesregierung auf eine kleine Nachfrage der Grünen Fraktion im Bundestag antworten, dass die Ausfuhr von Internetsicherheitsgütern, die auch unter Dual-Use fallen (da sie sowohl zur Überwachung, als auch zur Sicherung eingesetzt werden können) nicht detailliert kontrolliert werde und somit der Export in Länder wie Jemen, Syrien, Ägypten, Iran usw. nicht ausgeschlossen sei. Es gilt also etwas abgeändert der Satz: „Deutsche Software, deutsches Geld, überwachen mit in aller Welt.“

Wie sieht es aber mit dem ersten Problemfeld aus? Im ersten Augenblick ist man gewillt, jegliches Urbarmachen ziviler Ergebnisse und Forschungen für militärische Zwecke als „Missbrauch“ oder „Zweckentfremdung“ zu brandmarken. Allerdings und hier folgen wir Dr. Wolfgang Lieberts Argumentation, sollte man hier nicht das Pferd von hinten aufzäumen: Dual-Use ist seiner Definition nach weniger ein technisches Potential, das von militärischen und wirtschaftlichen Interessen vereinnahmt wird, als vielmehr eine gezielte Art der Forschungsausrichtung, in der  Grundlagenforschung für beides betrieben wird: Zivile UND militärische Nutzung.

Geschichtlich ist diese Zweiteilung laut Liebert seit dem Ende des 2. Weltkriegs auszumachen, als die aufgeblähten Forschungsbereiche des Militärs nicht eingestampft, sondern ausgelagert werden sollten. Diese erst in Amerika und Japan praktizierte Methode fand dann aber recht schnell nach dem  Fall des eisernen Vorhangs Eingang in die gesamtdeutsche Forschungs-, Bildungs- und Militärpolitik. So merkte schon 1992 Norbert Lammert an: „„Jedenfalls können wir nicht so tun, als seien wir von der Entwicklung in den USA nicht betroffen. Der Zusammenschluss von Boeing und McDonnell zeigt ja, dass man sich dort erhebliche Einsparungen in der Entwicklung wie in der Produktion von einer Zusammenführung des zivilen und militärischen Geschäfts erhofft.“

Besonders prominent ist dabei die Forschung im nuklearen Bereich. Als Reaktion auf diese Politik kann auch die Zivilklausel des Karlsruher Kernforschungszentrums gelten, das nunmehr zusammengeschlossen mit der Universität um diese zu kämpfen hat.

Liebert fährt fort und definiert die alleinige technische Potentialität als „Ambivalenz“, die allerdings meist in Mischformen mit der „Dual-Use“-Politik auftritt. Diese Ambivalenz findet sich unserer Meinung nach vor allem in dem jüngsten Phänomen, in dem Grundlagenforschung mit auch nur angenommenen militärischen und „terroristischen“ Interessen zusammenfällt. Wir reden hier von der Kontroverse um das modifizierte H1N1 Virus, dessen träge Version bereits im Jahre 2006 die Hälfte der Infizierten sterben ließ. Unabhängig voneinander entwickleten nun zwei Forscherteams ein neues, viel aggressiveres H1N1, das sich wie ein üblicher Schnupfen verbreitet. Wohlgemerkt um jetzt schon gegen einen Virus ein Gegenmittel zu finden, von dem man noch nicht voraussagen kann, in welche Richtung es mutiert, nur um die Möglichkeit zu schaffen, gerade dieses Virus in die Welt zu setzen ist schon sehr paradox. Aber es stimmt, was Dürrenmatt in seinen „Physikern“ sagen lässt: „Ist es einmal da, gibt es kein Zurück mehr“. Umso wichtiger ist die gesellschaftliche Kontrolle über Forschung und Wissenschaft… und deren Ergebnisse.

Was also tun? Zusätzlich zu der Aufgabe, in konkreten Fällen auch konkret Stellung zu beziehen, muss die Dual-Use-Politik auch politisch bekämpft werden. Die „einen ins Töpfen, die andern ins Kröpfchen“, das Aussortieren der guten und schlechten oder nicht so nutzbaren Forschungen macht wenig Sinn, geht am eigentlichen Problem vorbei: Der (Wissens-)Produktion für Kriege. Damit müssen diese Kriege und die Motivationen dafür auch ins Blickfeld geraten: Wer führt diese Kriege warum und welche Rolle spielen dabei geostrategischer Dünkel, Wirtschafts- und Handelsinteressen oder die ebenfalls in den „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ der Bundeswehr verankerte Sicherung des Zuganges zu Rohstoffen? Alles Beweggründe für Interventionen, die vom Völkerrecht nicht gedeckt sind.

Unsere Aufgabe muss also zum einen sein, die Intention hinter „Dual-Use“ aufzudecken und die Öffentlichkeit darüber aufzuklären und zum zweiten muss eine Diskussion um die Funktion, den Zweck dieser Forschung entfacht werden: Krieg in seinem heutigen Auftreten, die Rüstungsindustrie, die Verbesserung von Kontrolle, Aufstandsbekämpfung und der Wahrung einer zweifelhaften Sicherheit, die mit immer weniger Freiheit vergolten wird. Was noch dazu kommt: Die selbstvergessene Forschung, die ihre Freiheit dergestalt versteht, frei den Auftraggeber wählen zu können und frei von gesellschaftlicher Verantwortung und Kritik an herrschenden Zuständen agiert, muss umgewandelt werden in fortschrittliche Wissensproduktion für den Menschen in seiner Umwelt, nicht für Geld, Macht oder Krieg.

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