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Überlegungen zu den drei Gründen, aus denen heraus eine Zivilklausel in Gießen vom Senat abgelehnt wurde. Teil II einer hoffentlich nicht unendlichen Geschichte

2. November 2011

Gießen. Ein kühler Morgen am 19.10. um 10:00 am Hauptgebäude der Justus-Liebig Universität Gießen, wo ein Großteil der Verwaltung der Hochschule  konzentriert ist und sich auch der Senat befindet, der „mit großer Mehrheit“ in der zu Beginn de Jahres geführten Diskussion um die Grundordnung die Einführung einer Zivilklausel ablehnte. Dort ist auch der Sitz des Präsidenten, der in regelmäßigen Abständen mit AStA-ReferentInnen über Themen gemeinsamen Interesses redet.

Wie wir bereits berichteten, wurde die erneute Frage nach einer Zivilklausel bereits mit den allseits bekannten Argumenten negativ beantwortet. Im Jour Fixe am 19.10, wo der Zivilklausel-Referent auch zugegen sein konnte, bekräftigte nun der Präsident die angedeuteten Argumente und machte sie sich auch ausdrücklich zu eigen. Im folgenden sollen nun einige „Überlegungen“ zu diesen alten Argumenten vorgebracht werden, in die auch aktuelle Überlegungen und Diskussionen der bundesweiten Bewegung, sowie die geänderten Rahmenbedingungen zu Wort kommen sollen. Da wir dies schon einmal an anderem Ort geleistet haben, versteht sich dieser Beitrag als Bekräftigung und Erweiterung, die Not tut, angesichts der Ignoranz und des beflißentlichen Zerredens der eigenen vorgebrachten Gegenargumente, der wir bei dem Treffen mit dem Präsidenten begegneten.

1. Der Präsident bekräftigte das von der Senatskomission „erarbeitete“ Argument, die Lage in Gießen sei nicht akut, es gäbe keine militärische Forschung an der Universität und hätte es in jüngster Zeit auch nicht gegeben. Als von unserer Seite, mit dem Hinweis auf die wehrmedizinische Forschung ab ca. 2000(wir berichteten), darauf hingewiesen wurde, dass offen an Mitteln  gegen  Q-Fieber und Gasbrandviren geforscht wurde, wehrte der Präsident vehement ab: Hierbei handele es sich nicht um militärische Forschung, obgleich doch (ebenfalls bereits vorgebrachte) Bedenken geäußert wurden, warum das Bundesministerium für Verteidigung diese Forschung finanzierte und wo der Nutzen für die Allgemeinheit liegen soll, wenn die Forschung nicht darauf hinausläuft, für jede potentiell von den Bio- und Chemiewaffen bedrohte Stadt riesige Lager an Heilmittel herzustellen, da im Falle eines Angriffes jede Synthetisierung im Nachhinein zu spät käme! Doch all das konnte den Vorsteher der Universität nicht überzeugen, er blieb dabei, dass die Bundeswehr in altruistischer Manier für die gesamte Menschheit ein Antidot gegen diese geächteten Kampfstoffe erstellt hat, anscheinend als Werbemaßnahme für die Bundeswehr im In und Ausland und nicht allein zur Benutzung für die eigene Truppe, die es ja seit den 90ern immer wieder in Landstriche verschlagen hat, wo es mit der Einhaltung internationaler Abkommen über ABC Kampfstoffe nicht weit her ist.

Doch ein anderer Aspekt, der leider beim Jour Fixe unerwähnt blieb, darf an dieser Stelle nicht ausgespart werden: Die Zivilklausel als Ausschluss von Bundeswehrpersonal von einem zivilen Campus. Denn, ganz „akut“ fand in diesem April ein „Tagesseminar für Sicherheitspolitik“(1), des Reservistenverbandes hochsymbolisch quasi, in der Aula der Justus-Liebig-Universität(2) statt. Leider konnte damals kein Protest, ja nicht mal eine Pressemitteilung organisiert werden, da der AK Zivilklausel noch nicht bestand und die Veranstaltung wohl auch bei den meisten studentischen AmtsträgerInnen unter anderweitiger Tagespolitik verschütt gegangen ist. Nichts desto trotz stellt es ein penetrantes Eindringen des Militärs, wenn auch unter dem viel missbrauchten Label der „Sicherheitspolitik“ dar, wenn ein Reservistenverband gar in der Aula des Hauptgebäudes, des administrativen wie symbolischen Mittelpunkts der Universität sich breit machen darf.

Eine Bemerkung sollte man sich in diesem Zusammenhang auch nicht ersparen: Das von uns vorgebrachte Argument, dass gerade aus dem Faktum heraus, dass (uns ist bislang nichts bekannt, was nichts heißen muss) zu diesem Zeitpunkt, nach Aussage des Präsidenten weder militärische Forschung stattfindet, noch welche „auf lange Sicht geplant ist“, eine Zivilklausel wirtschaftlichen und oder allgemein forscherischen Interessen(So es sie denn in einer Gesellschaft wie der unseren überhaupt geben sollte) nicht im Wege stehen würde(wenn man sich überhaupt auf eine solche Ebene herablassen will), wurde ebenso mit einem eventuell bedeutungsschwangeren Kopfschütteln beantwortet. Vorsorgen statt Nachsorgen scheint nicht in das Konzept einer modernen Hochschule passen zu wollen. Woher kommt diese Ablehnung, die ja aus der Logik wirtschaftlichen Denkens erstmal nicht zu erklären ist, wenn doch nicht mal in der Planung militärische Forschung vorgesehen ist? Es scheint auf den zweiten Blick, dass man sich auch aufgrund des dritten Punktes, der Dual-Use Problematik, die Türen offen halten will, was etwaige Forschungsaufträge angeht- Die Verneinung der militärischen Natur der Wehrmedizinischen Forschung mag ein Hinweis darauf sein, was uns da noch erwartet- was dann wieder in eine wirtschaftliche Denkweise einer auch Drittmittelgebern gegenüber „flexiblen und aufgeschlossenen“ Uni passt, die sich zumindest der Äußerung ihres Präsidenten nach, nicht im Stande sieht, der Dual-Use Problematik mit Vernunft zu begegnen und sie stattdessen für ein unüberwindbares Hindernis hält, militärische von ziviler Forschung zu scheiden..

2. Dann ging es auch wieder um das alte Thema der ins Gegenteil verkehrten „Freiheit der Wissenschaft“. Einer Freiheit letztendlich, die allzu oft die Begriffsdefinition des sehr weit ausdeutbaren Wortes zu beherrschen scheint: Wirtschaftliche Freiheit, losgelöst von gesellschaftlicher Verantwortung. Das ist dann die Freiheit, „ergebnisoffen“ zu forschen, die Freiheit von jeder Firma Aufträge anzunehmen, die Freiheit weiterhin, von privaten Stiftern und Unternehmen sich die Lücken finanzieren zu lassen, die von der öffentlichen Sparerei gerissen werden, die Freiheit schließlich von altbackenen ethischen, moralischen und gesellschaftlichen Leitlinien losgelöst sich ganz dem „wertfreien“(Max Weber) Spiel der Wissenschaft hinzugeben. Doch nicht nur, wie schon so oft erwähnt, auf grundrechtlicher Ebene schließt die Freiheit der Wissenschaft nicht die Selbstverpflichtung zu friedlicher und progressiver Nutzung aus(Man führe hier das Gutachten von Denniger an, welchem noch kein Gutachten von der Gegenseite gegenüber steht!). Auch enttarnt dieses Verständnis der Wissenschaftsfreiheit die Umwertung, die ein durchaus noch aktueller Grundgesetzteil durch die Interventionspolitik der Bundesregierungen seit den 90ern erfahren hat. Ursprünglich sollte so etwas wie bsp. den „Krieg der Geisteswissenschaften“, eine Instrumentalisierung der Wissenschaft im Dienste einer menschenverachtenden Ideologie, wie ihn Nazideutschland in seinen gleichgeschalteten Universitäten entfesselte, auf alle Zeit verhindert werden. Dass heute diese Freiheit, durch das Vorschreiben einer friedlichen Nutzung in seiner Grundintention eingeschränkt werden soll(denn so allergisch reagiert man in Anführung dieses Artikels!), klingt vor diesem Wissen nur wie Hohn. Wo der Friedensgedanke die Wissenschaft einschränkt, statt ihr eine Richtung für eine andere, friedlichere Erdkugel zu geben, wo man mit dem Verweis auf eine „sich verändernde Welt“, in der es plötzlich seit dem Fall der Mauer nur so von Diktatoren und Terroristen wimmeln soll(Wolfgang Ischinger)(3) den Angriffskrieg als Intervention tarnt, die ihr Vorbild allzu oft in den Alliierten des 2. Weltkriegs sehen will(Joschka Fischer und sein berühmtes Zitat zum Kosovoeinsatz)(4), da will man sich selbst und der sogenannten Wissensgesellschaft ein X für U vormachen: Wo sich, dem im Krieg befindlichen Deutschland hörige, wissenschaftliche Legitimationshelfer, die sich selber zum Teil „Friedens und Konfliktforscher“ schimpfen, abmühen, Ideen wie die „Responsability to protect“ oder die des „Demokratieexports“ einzubürgern, da werfe man nur getrost einen Blick in die verteidigungspolitischen Richtlinien der Bundesregierung: Dort ist ohne Zurückhaltung das zu lesen, was innerhalb kürzester Zeit vom Rücktrittsgrund zum Exzellenzauszeichen europäischer Sicherheitsarchitektur geworden ist und zwischen dem großen Popanz einer „Geburtshilfe der Revolution“ in Lybien oder des „Nation building“ auf dem Balkan und sonst wo herausgelesen werden kann. Zu den Sicherheitsinteressen soll da auch gehören:

[…]einen freien und ungehinderten Welthandel sowie den freien Zugang zur Hohen See und zu natürlichen Ressourcen zu ermöglichen.(5)

3. Zu guter Letzt flammte im Jour Fixe eine heiße Schlacht der Beispiele auf, als der Präsident darum bemüht war, zu zeigen, dass nahezu alle Forschung auch für militärische Zwecke einsetzbar sei und die Dual-Use Problematik, wie bereits erwähnt, einer Zivilklausel als praktische Hürde im Weg stände. Im Grunde würde die nicht mögliche Grenzziehung dazu führen(wobei wir hier stark zwischen den Zeilen lesen müssen, dass sei an dieser Stelle angemerkt!) dass die Modalitäten der Einhaltung und Gewährleistung keine Klarheit zustande kommen ließen und es daher abzulehnen ist, Selbstverpflichtungen sich aufzuerlegen als eine Universität, die gerne klare Regelungen hat.

Da ein AK Zivilklausel natürlich in der Bringschuld ist, was Lösungen solcher Probleme angeht und nicht bei den technokratischen und im Geiste der Alternativlosigkeit und des Sachzwangs dem Senat ankommissionierter Empfehlungen verweilen will, seien hier einige Überlegungen zusammengetragen, die zum einen neue Erfahrungen aus dem Wochenende in Tübingen und Frankfurt am Main, als auch die Argumente aus dem Jour Fixe versammeln sollen.

Für die Zivilklauselbewegung, so stellte ein Referent auf dem jüngst stattgefunden Kongress fest, sei es von emminenter Wichtigkeit, nicht bloß sich in der Unterscheidung von Ziviler und Militärisch nutzbarer Technologie zu ergehen(und sich dort festzufahren), sondern auch immer die generelle Kriegsfrage zu stellen: Qui bono, wem nützt es! Dazu ist es auch nötig die  Realität mit dem Anspruch abzugleichen: Wo in aller Welt von Abrüstung gesprochen wird, geschieht eine Militarisierung der Außenpolitik der EU, Aufträge der Bundeswehr an Hochschulen werden als „Verschlusssache“ der Öffentlichkeit entzogen und noch vor 2,3 Jahren verkauften deutsche Werften munter U-Boote an Griechenland, so als stehe dort unten jeden Tag eine große Seeschlacht vor der Tür. Wo sich politische Rhetorik, politischer Anspruch und die leidliche Realität in Widersprüche verstricken, kann der Kritiker des Krieges ansetzen und offenlegen, wo die Gründe für den Krieg liegen, ferner(in unserem Falle näher) wo die Gründe dafür liegen, dass unter Vorschub der Dual-Use Problematik die Einführung einer Zivilklausel abgelehnt wird: Deutschland braucht Waffen, braucht bessere Waffen und will schließlich bessere Waffen verkaufen. (Wie schwer wiegt in der  Diskussion um die Einführung der Zivilklausel die Bronzemedaille im Rüstungsexport, wenn man die Menschenrechte überall bemühen will!) Schlußendlich muss eine Diskussion um Dual-Use immer im Bewusstsein und mit der Frage auf der Zunge geführt werden, warum und aus welcher Logik unserer Gesellschaften heraus Krieg geführt wird.

Ein anderer Weg, wie man sich den, ein manches Mal weithergeholten Beispielen(Der Präsident führte die Anglistik an, in der man durch die Erforschung gewisser Akzente die Herkunft von Terroristen bestimmen könnte) und Diskussionen über die Problematik des Dual-Use entziehen kann(natürlich nicht um, es auszublenden, sondern um dem etwas pragmatischeres, im Sinne der Zivilklausel, entgegenzusetzen), ist der einer ganz einfach rechtlichen Regelung. Entweder kann der Forscher selber, wie im Fall von Yoshiyuki Sankai, bestimmen, ob sein Patent durch eine Rüstungsfirma oder die Bundeswehr genutzt werden darf, oder die Kooperationsverträge für Auftragsforschung der jeweiligen Universitäten enthalten Regelungen, die eindeutig ausschließen, dass die Firmen beispielsweise die Kühlmontur, ein erstmal unverdächtig Ding, in einen Panzer einsetzen darf, wie es bereits an der Technischen Universität in Berlin der Fall ist. Das führt zum einen dazu, dass wichtige Grundlagenforschung betrieben werden kann, zum anderen aber schließt es aus, dass diese direkt in die neuste Waffenplattform oder ähnliches miteinfließt.

Soweit scheinen nun alle Argumente zerlegt, soweit es nicht schon an anderem Ort geschehen ist, und doch bleibt ein Appell: Für die sogenannte Sicherheitsforschung, der an anderer Stelle auch noch ausführlicher ein Artikel gewidmet werden soll, als auch für geisteswissenschaftliche (Auftrags)Arbeiten und Honorarprofessuren mit strittigen Financiers(vergleiche dazu Bremen) müssen weiterehin Präambeln her und Senatsbeschlüsse, müssen ferner die lokalen Zivilklauselbewegungen die stets zuletzt unzulänglichen Sätze ausfüllen und die Militarisierung nicht nur stören und skandalisieren sondern zurückdrängen und ihr Gegenbilder und Alternativen aufzeigen, die auf die Zukunft verweisen und nicht im Status Quo eines kriegführenden Staates verharren, wie es ein Großteil des wissenschaftlichen und universitären Betriebs zur Zeit tut.

Links und Verweise:

(1)Einladung des Reservistenverbandes in die Aula der JLU Gießen

(2)Artikel im Gießener Anzeiger

(3)Artikel, aus dem das Zitat Ischingers im Wortlaut entnommen ist

(4) „Ich habe nicht nur gelernt: Nie wieder Krieg. Ich habe auch gelernt: Nie wieder Auschwitz.“

(5)Die verteidigungspolitischen Richtlinien 2011

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