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Erwiederung auf die Antwort des Präsidenten und „Haben wir nicht schon eine Zivilklausel im hessischen Hochschulgesetz?“

30. September 2011

Gießen/Hessen. Im Folgenden soll eine Erwiederung auf die Argumente des Präsidenten der JLU, Prof. Dr. Mukherjee gegeben werden, die dieser gegen die Einführung einer Zivilklausel anführt.(wir berichteten.)

1.In Gießen ist das Thema nicht akut. Soweit wir wissen, jein. Wie bereits nachgewiesen wurde, hat es umfangreiche und bedenkliche vom Bundesministerium für Verteidigung geförderte wehrmedizinische und logistische Projekte an der JLU Gießen gegeben. Dass es damals möglich war, macht es heute, unter gestiegenem Drittmitteldruck, noch wahrhscheinlicher. Falls das Ministerium oder die Bundeswehr noch mal persönlich oder, was wahrscheinlicher ist, über eine Art von Mittler, an die Universität oder die THM herantritt, ist es nicht ausgeschlossen das diese die Forschung gerne übernehmen wird, was in diesem Falle nicht nur der Universität anzulasten wäre, sondern auch einer unorganisierten Gegenwehr, wo wir allerdings gerade versuchen Abhilfe zu schaffen.

Hinzu kommt, dass über die Forschung an der THM(Technischen Hochschule Mittelhessen) recht wenig bekannt ist(hier werden wir auch weiter recherchieren) und, dass sich auch Forschungen in Gießen ereignen, die mittelbar für die Bundeswehr oder für Rüstungsunternehmen einen konkreten Nutzen haben werden, selbst wenn in der aktuellsten Anfrage der Linkspartei an die Bundesregierung keine direkten Mittel der des Bundesverteidigungsministerium an Gießen ausgegeben wurden.

2.Es gibt im hessischen Hochschulgesetz Paragraph 1, Absatz 3 bereits eine Anlage zur Zivilklausel. Nun, dann wollen wir diese „Anlage“ doch einmal genauer anschauen: Dort heißt es wörtlich

„Alle an Forschung und Lehre beteiligten Mitglieder und Angehörigen der Hochschulen haben die gesellschaftlichen Folgen wissenschaftlicher Erkenntnis  mit zu bedenken. Werden ihnen Ergebnisse der Forschung, vor allem in ihrem Fachgebiet, bekannt, die bei verantwortungsloser Verwendung erhebliche Gefahr für die Gesundheit, das Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen herbeiführen können, sollen sie den zuständigen Fachbereichsrat oder ein zentrales Organ der Hochschule davon unterrichten.“ Hessisches Hochschulgesetz I,§1,3

Nun, unser Verständnis einer Zivilklausel, der vor allem eine aktive, konkrete Rolle in der Verhinderung von Rüstungs- Kriegs- und Militärforschung auf allen Gebieten der Wissenschaft und somit der mittelbaren Verhütung von Leid und Aufrüstung zukommen soll, ist mit obigen Formulierungen schwer zu vereinen, nicht wahr? Zum einen soll sie gerade verhindern das solche Ergebnisse überhaupt auf dem Tisch liegen, von denen das hessische Forscherlein dann erstmal an die bürokratischen Institutionen unterrichten darf, wenn die Bombe schon intelligent gemacht, der Panzer längst die Einparkhilfe bekommen und die Studie über kulturelle Strategien der Aufstandsbekämpfung seit Monaten bereits auf dem Tisch des NATO-Generals liegt . Was danach kommen müsste, nach der „Unterrichtung“, also die möglichen Strafen, Reaktionen und Handlungsspielräume, die auf selbstvergessene instrumentelle Teilrationalität mit zerstörerischen Folgen, kurz menschenfeindlicher Wissenschaft folgen, bleiben ausgespart und scheint sich in der Willkür der Sanktionen für die „Nichteinhaltung guter wissenschaftlicher Praxis“ zu verlieren. Genauso gut könnte man sich also einen solchen Passus sparen, wie es auch 7 andere Bundesländer indes getan haben, bei denen weder die Wörter Mensch, Natur, Friede (ein Wort allerdings, dass nur die thüringische Hochschulverfassung kennt!)noch eine in irgendeiner Weise der gesellschaftlichen Verantwortung der Wissenschaft gemahnende Passage vorkommt. Einzig bestand eine klare Zivilklausel in der Legislaturperiode sozialdemokratischer Ministerpräsidentschaft über Niedersachsen von 1993 bis 2002, die aber von der gleichen Partei wieder aus dem Hochschulgesetz hinausgenommen wurde. Einen erneuten Anlauf macht die SPD derzeigt in Bremen, wo laut Weser-Kurier eine Zivilklausel Eingang in das Hochschulgesetz erhalten soll: die Initiative kam dabei durch die Bremer Jusos.

Auch stellt sich ernsthaft die Frage, wie nach der „Anlage“ mit Ergebnissen hantiert werden soll, bei welchen der einzig „verantwortungsvolle Umgang“ deren Zerstörung wäre?! Natürlich klingt hier das Damoklesschwert des Kalten Krieges und seiner Atomkriegdrohgebärde mit, doch so weit muss mensch nicht gehen. Das verunglückte Labor mit dem genmanipulierten Virus zur Impfstoffherstellung(und niemand redet hier von der Grippe oder von der Vogelpest!), die Abhörtechnik mit dem Potential der totalen Verglasung der Privatssphäre ALLER Bürger, die vollautomatische fliegende Drohne(wird beispielsweise in Siegen entwickelt) die wahlweise Demonstrationen beobachten oder bombardieren kann und und und…

Selbstredend ist die als Imperativ formulierte Erinnerung an des Wissenschaftlers gesellschaftliche Verantwortung im Artikel im Hessischen Hochschulgesetz zu begrüßen und ein erster Schritt. Aber tatsächlich vorbeugend muss eine Zivilklausel Verträge und Forschungsvorhaben prüfen um gewisse Ergebnisse gar nicht erst zu Stande kommen zu lassen, beziehungsweise die Urbarmachung ziviler Wissenspoteniale an staatlichen Hochschulen durch die Bundeswehr zu verhindern.

Wo aber die ganze Argumentation über diesen Passus an den realen Widersprüchen in Hessen zusammenstürzen muss, ist die offensive Rüstungsforschung in Kassel, wo Krauss-Maffai Wegmann fast schon aus Tradition involviert ist oder die anderen Fälle konkreter Wissenschaft wider „Gesundheit,[…]Leben oder das friedliche Zusammenleben der Menschen“ in Frankfurt am Main beispielsweise.

3. Haben WIR einen konkreten Bedarf oder gibt es an der ganzen JLU eine Nachfrage nach einer Zivilklausel? Diese Frage wurde an den meisten Universitäten, in Deutschland, wo das Thema auf die Tagesordnung gekommen ist, gleich beantwortet: Viele Studierende und DozentInnen haben sich für eine Zivilklausel ausgesprochen(in Köln die Mehrheit im Kontext einer Urabstimmung). Ob eine solche Urabstimmugn auch in Gießen den Willen der Studierenden ausdrücken soll, bleibt abzuwarten. Was aber stimmt: WIR haben konkreten Bedarf an einer Zivilklausel. Wie bereits eingangs erwähnt, hat die Gießener Universität und die THM auch des öfteren wehrtechnische oder wehrmedizinische Forschung betrieben und wird dies in Zukunft wieder tun können, wenn wir nicht, gleichsam einer Binsenweisheit nach VORSORGEN IST IMMER BESSER ALS NACHSORGEN, wie es an vielen Unis NICHT geschehen ist, die erst ein Bewusstsein für die Problematik entwickelt haben, als es „zu spät“ war oder bereits ein Projekt in den letzten Zügen war. Diesen Fehler wollen wir, vor allem eingedenk der bundesweit erstarkenden Zivilklauselbewegung, die einen ordentlichen Rückenwind gibt, nicht wiederholen.

Alles in allem bleibt also von unserer Warte aus nicht viel übrig von den Argumenten des Präsidenten. Die Frage nach der Unterstützung durch die Studenten ist gleichsam eine Machtfrage und kann nur durch Schaffung von Sympathie und Bewusstsein für die Zivilklausel gelöst werden beziehungsweise stellt den nervus rerum der ganzen Problematik dar. Zudem werden wir den Rat des Präsidenten beherzigen und zu gegebener Zeit erneut einen Antrag in den Senat einbringen(vielleicht nicht nur diesen)beziehungsweise die Verhandlungen von damals überprüfen und uns mit den Gründungskommissionsmitgliedern in Verbindung setzen.

Im Anschluß noch ein Hinweis: Damit der geneigte Leser sich einen Überblick über derartige „Anlagen“ in den Hochschulgesetzen in Deutschland machen kann, sei er auf ein von uns verfertigtes Zivilklausel in Hochschulgesetzen? verwiesen, das an der Seite unter „PDF Broschüren“ verlinkt ist.

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