Zur Frage der Mittelbarkeit II-Wehrmedizin in Tübingen Heute und Gießen vor nicht allzu langer Zeit
Gießen/Tübingen. Im September läuft in Tübingen ein von der Bundeswehr finanziertes Projekt aus, dass zur Aufgabe hatte, Therapiemöglichkeiten bei Angriffen von „Organophosphaten“ durchzuführen. Dieser Stoff kommt im zivilen Gebrauch bei Düngern oder als Weichmacher vor, im militärischen Bereich wird es als Teil von chemischen Kampfstoffen eingesetzt, die in gewisser Dosierung zu Atemnot und Atemstillstand führen können. Im Rahmen der C-Schutzforschung(C steht für die Abwehr von chemischen Kampfstoffen) wurde diese Forschung aber nicht nur, wie bereits erwähnt mit fast einer halben Millionen Euro(so weiß die TAZ zu berichten)finanziert, sondern auch ab 2010 unter Geheimschutz gestellt.
Zusammen mit der Ernennung Wolfgang Ischingers(wir berichteten), wurde diese Forschung von den friedenspolitischen Gruppen in Tübingen, unter anderem der dort ansässigen Informationsstelle Militarisierung angeprangert. Auch Nicole Gohlke, bildungspolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag forderte, dass solche Forschung nicht an zivile Hochschulen gehöre, verwies also, wie so oft missverstanden wird, auf die eigentlichen Aufgaben der Bundeswehruniversitäten und die Forschungsinsitute der privaten Rüstungskonzerne, die sich um solche Dinge zu kümmern haben und sich dann nicht mit Zivilklauseln und protestierenden Studierenden herumschlagen müssten. Obgleich nicht vergessen werden darf: Mit „Aus den Augen, aus dem Sinn“ lässt sich natürlich kein Blutvergießen verhindern, noch lässt sich damit für eine friedliche Welt eintreten, ein Eintreten, zu dem sich eine Universität verpflichtet fühlen sollte, so sie denn die Zivilklausel einführt; Die Kritik an Rüstungsforschung sollte nicht an den Toren der Universität enden.
Doch auch hier können sich weder die KommentatorInnen auf der TAZ-Seite zurückhalten, noch ist zu erwarten, dass auf den ersten Blick der Verstoß gegen eine Zivilklausel bloßgestellt sei. Es wäre zu bedenken, dass es dem Kampfstoff doch egal ist, ob mensch nun ein Zivilist ist, oder ein Soldat und auf die Entwicklung von Heilmitteln für solche Gelegenheiten zu verzichten, nur weil es ja zweckentfremdet werden könnte, wäre ja menschenverachtend! Es tönt von überall, die genaue Scheidung von Nutzen und Gefahr bei Dual Use Projekten wie diesem scheint unmöglich. Es wird fleißig der Giftanschlag einer apokalyptischen Sekte in Japan im Jahre 1995 erinnert, wo man im Fall der Fälle dann dankend sich der Bundeswehr zuwenden könnte: Her mit der Therapie, die ihr im festen Glauben entwickelt habt, sie könnte nur eure Besatzungsarmee schützen!
Doch so einfach gestaltet es sich dann doch nicht. Natürlich kann bei jeder Entwicklung einer Therapie oder eines Gegenmittels auch der zivile Nutzen erfolgen. Bloß hat so etwas in unserem Falle das Gesundheitsministerium zu forschen und würde es auch tun, wenn konkrete Gefahr bestünde(obgleich sich hierüber gewiss das ein oder andere Wort verlieren lassen könnte, dass sei aber an dieser Stelle ausgespart). Wer aber tatsächlich solcher Gefahr ausgesetzt ist, ist die Bundeswehr im Auslandseinsatz und hier reden wir nur von der defensiven Seite der Forschung! Sie hat ein Interesse an der Entwicklung von Therapiemaßnahmen und das nicht allgemein-menschlich für alle, bereitstehend in jedem Erste-Hilfe Kit, sondern für den Soldaten, der konkret vor Ort in Berührung damit kommt. Nicht aber die Verteidigung der „Heimat“ verschlägt den Soldaten in das ferne Land, wo er die Chemiekeule fürchten und sich dagegen geschützt wissen muss, sondern ein zweifelhafter „Bündnisfall“, der für den Angriff einer Terrororganisation ein ganzes Land bis heute in Haft genommen hat. Später hat man diesen Fehler in Euphemismen der „humanitären Intervention“ gekleidet, aber egal wie man zu dem Konflikt steht, zu verneinen, dass es sich um einen Krieg handelt, in dem Deutschland nicht provoziert oder gar angegriffen wurde, wäre ideologisch, borniert und töricht. Abgesehen von dem im deutschen Grundgesetz verankerten Satz, dass von deutschem Boden kein Krieg mehr ausgehen darf, den man genau so gut „aus der Praxis heraus“ aus dem GG streichen könnte, verstieß der Krieg damals gegen geltendes Völkerrecht. Nun, im gegenwärtigen Krieg gegen den Terror, oder gegen jene exquisit ausgewählte, zu stürzende Despoten scheint dieses Recht zu einem reaktionären Überbleibsel der Nachkriegszeit geworden zu sein, dessen man sich klammheimlich genauso entledigt hat, wie der nun hinfortintervenierte Gaddafi einst medienwirksam vor der UN-Vollversammlung.
Aber nicht nur die defensive Seite der Ergebnisse der Forschung sind zu kritisieren, bzw. ist kritisch zu hinterfragen, dass sich die Bundeswehr darum kümmert und welchen konkreten Nutzen sie daraus zieht. Auch muss doch die Geheimhaltung stutzig machen, die in den letzten Zügen des Projekts, seit Oktober 2010 für das wehrmedizinische Projekt vom Verteidigungsministerium verhängt wurde. Warum sollte solch harmlose Forschung geheim sein? Hat man vielleicht Angst, dass ein Pharmakonzern die Ergebnisse stiehlt? Oder doch eher, dass gewisse Experimente zu weit gehen oder gar nicht so defensiv sind, daher abgesehen vom Auftraggeber ihrer militärischen Natur wegen komplett unter den Ausschluss durch die Zivilklausel der Tübinger Universität fallen müssten?
Wie dieses Beispiel zu wiederholten Male offenlegt, scheren sich Universitätsleitung und Institutionen wie die Bundeswehr und das Verteidigungsministerium einen Dreck um die Errungenschaften der Studierenden, selbst wenn sie in die Grundordnungen gegossen wurden. Mit Häme und Heimlichtuerei wird von allen Seiten die Zivilklausel umgangen, ausgelegt und einfach „vergessen“. Es bleibt am Ende immer an den friedenspolitischen Gruppen in und außerhalb der Universität hängen, die Dinge herauszufinden und anzumahnen, vielleicht auch Aktionen dagegen zu starten; früher soll man auch schon mal das Labor besetzt haben, indem der Krieg neu erfunden wurde…
Doch warum immer von anderen Universitäten reden? Warum nicht von der Uni Gießen oder der THM ? Nennen wir mal ein Beispiel aus der Zeit, wo sich die Bundeswehr unter Rudolf Scharping schon auf eine verstärkte Anzahl an Auslandseinsätzen vorbereitete und befand, dass in der Veterinärmedizin der Univierstiät Gießen am Institut für Hygiene und Infektionskrankheiten der Tiere ein geeigneter Platz wäre, mal etwas zu forschen über, sagen wir, die Entwicklung eines Impfstoffes gegen Gasbrand, und einen Impfung gegen das Q-Fieber. Letzteres wurde 1990 begonnen und bis 2002 ausgeführt und mit jährlich 250.000 DM vom Verteidigungsministerium bezuschusst. Ersteres dauerte bis 2000 an und bekam 340.000 DM an Jahresbudget zur Verfügung. Neuestes bekanntes Beispiel(Wir sind immer auf der Suche) ist eine skurrile Studie von 2002, die als Dissertation von Ulrich Schotte, seines Zeichens Tierarzt, zusammen mit dem Zentralen Institut des Sanitätsdienstes der Bundeswehr Kiel-Kronshagen gefertigt wurde und folgenden Titel trägt: „Bewertung des Infektionsrisikos für den Verpflegungsteilnehmer der Bundeswehr durch Verotoxin- bildende Escherichia coli (VTEC) unter besonderer Berücksichtigung streichfähiger und schnittfester Rohwürste“.
Nun, wie ist damit umzugehen? Gasbrand ist eine furchtbare Krankheit und die Verwendung als chemische Waffe malt Bilder des Schreckens; auch das Q-Fieber mag zwar nicht immer tödlich verlaufen, doch sowohl die Vereinigten Staaten als auch die Sowjetunion forschten bis weit ins 20. Jahrhundert an einer militärischen Urbarmachung des Erregers, mehrere Unfälle und Testreihen legen davon Zeugnis ab. Auch hier wurde noch lange nach er Ächtung chemischer Waffen Defensivforschung betrieben, obgleich sie bei der einen wie der anderen Variante für die Zivilbevölkerung nur geringen Nutzen hätte und daher hauptsächlich militärischen Zwecken im Feld dienen. Die Wurstforschung fällt, so banal das auch klinge mag, unter die Logisitik der Bundeswehr, hat also weit weniger Nähe zu irgendeinem gesamtgesellschaftlichen Nutzen und daher an einer zivilen Bildungseinrichtung einfach nichts verloren.
Zurück zu dem Biowaffenkomplex. Abgesehen von der selektiven Nutzbarkeit der Impfungen und des Schutzes, bestehen unvorhergesehen Gefahren bei der gentechnischen Veränderung der Krankheitserreger, die zumeist bei den Versuchen der Entwicklung von defensiven Methoden verwandt werden um „harmlose“ Erreger zu produzieren, die dennoch immunisieren können. Jan van Aken weißt in seiner Arbeit zu dem Thema darauf hin, dass die gentechnische Veränderung von Erregern das Potential besitzen, heimtückische und verheerende chemische Waffen zu werden, wie beispielsweise Krankheiten, deren Symptome, aber nicht deren Letalität verändert wird. All das wurde nicht in versteckten Laboren von verrückten Wissenschaftlern geforscht, sondern in Fachblättern wie Science veröffentlicht! Wie steht es um die Forschung in Gießen? Hier wurde wie erwähnt zum Gasbrand geforscht. Dazu musste allerdings eine Variante des Gasbranderregers hergestellt werden, der von Darmbakterien produziert wurde und nicht toxisch war, der Gefahr wegen. Van Aken weißt jedoch darauf hin, dass durch genau die gleichen Schritte auch toxische Gasbranderreger hergestellt werden könnten, oder das benutzte Darmbakterium direkt als Kampfstoff dienen könnte. Allein dieses Potential macht die Forschung so gefährlich.
Eine weitere Überlegung, die solche Forschung begleiten muss, ist der tatsächliche Nutzen für die Bundeswehr, wenn man sich denn auf diese Argumentationsebene herablassen will, impliziert sie doch eine Anerkennung der Auslandseinsätze, unter deren Bedingungen erst die Forschung im B- und C-Waffen Bereich als Teil einer Aufrüstung nötig wird. Denn die vielen verschiedenen Impfungen, die in den Forschungen herstellt wurden, bringen ja im Nachhinein nichts! Ist es aber vorstellbar, alle Soldaten also im Ausland gegen die vielen verschieden Kampfstoffe zu impfen? Ebenfalls in der Studie von Jan Aken wird auf folgende Problematik verwiesen:Die US-amerikanischen Streikkräfte hatten seinerzeit versucht, die ganze Armee gegen die Milzbrandterreger zu immunisieren und stießen dabei auf vielfache Kritik und auch Schwierigkeiten: Weder konnte zuverlässig getestet werden, ob der Stoff überhaupt wirkt, noch konnte ein Tierversuch die Zweifel aus dem Weg räumen, dass die Soldaten(und deswegen wird es ja auch vom Militär entwickelt und nicht zivil, wo das Problem nicht so gravierend wäre) nach der Attacke zwar nicht krank würden, aber so geschwächt, dass keiner mehr kämpfen kann.
Doch auf diese Ebene muss mensch sich gar nicht herablassen: Die Forschung an defensiven Mitteln gegen solche chemischen Kampfstoffe, die im Krieg zum Einsatz kommen könnten, haben eine agressive Seite, denn bloß wer den Krieg in die Gebiete führt, wo sich keine Kriegspartei um internationale Bestimmungen gegen chemische, biologische und atomare Waffen kümmert, muss befürchten, dass er dort dieser Gefahr ausgesetzt ist. Und es ist Pflicht jedes Menschen, der für die Zivilklausel kämpft, die Ambivalenz, Gefahr und Stoßrichtung solcher Forschung in den Fokus zu stellen, wenn sie im Rahmen des Kampfes für eine Zivilklausel angeprangert wird.
Artikel zu Dual-Use und Defensive Biotechnologie in der Bundeswehrforschung in einem Artikel von Jan Aken aus der Bioskop Nr. 15, September 2001 (S.14-15)
Artikel in der tageszeitung zu der chemischen Forschung an der Universität Tübingen–>das Durchlesen der Kommentare kann für jedeN ZivilklauselaktivistIn einen guten Einblick in die meist recht reflexartigen und unüberlegten Reaktionen auf derartige Vorstöße gegen solche Forschung geben.
Nochmal der Offene Brief der Tübinger, in dem auch die Geheimhaltung thematisiert wird.
Die Studie von Jan van Aken zur Dual-Use Problematik findet ihr an der Seite unter PDF’s