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Frage und Antwort. Der Präsident der JLU Dr. Joybrato Mukherjee zur Zivilklausel in Gießen

21. September 2011

Antwort des Präsidenten, berichtet durch Veronika Becker. Die Antwort erfolgte auf dem monatlichen Jour Fixe am 7.09.2011

Der Präsident hat gesagt, dass das Thema aber im Senat neu diskutiert werden kann und hier in Gießen die Situation im Gegensatz zu anderen Standorten nicht akut wäre. Außerdem gebe es im hessischen Hochschulgesetz,Paragraph 1, Absatz 3 quasi schon eine Anlage zur Zivilklausel. Vorschlag des Präsidenten ist, dass der AStA das Thema in Abstimmung mit allen Listen in den Senat bringt. Dies sollte auch mit den studentischen Gründungskommissionsmitgliedern(Krug und Hartmann) rückgekoppelt werden und es könnten Protokolle aus der Kommission zurate gezogen werden. Der Präsident hat noch gefragt, ob wir allgemeinen Bedarf einer Zivilklausel sehen, oder ob es einen konkreten Bedarf an der JLU gibt.

Die dazugehörige Anfrage an den Präsidenten der Justus Liebig Universität Gießen, die im Vorfeld des Jour Fixe gestellt wurde.

Betreff: Eine Zivilklausel für die Universität

Sehr geehrter Herr  Prof. Dr. Mukherjee,

die jüngste Provokation der Rüstungsindustrie im Fall der durch den Rüstungskonzern OHB mitfinanzierten Stiftungsprofessur an der Universität Bremen und die Reaktion der betreffenden Universitätsleitung hat es gezeigt: Die Abhängigkeit von Drittmitteln im Allgemeinen und noch um eine weiteren Grad verschärft, diejenige von Kriegsmittelherstellern- und Unterstützern und der Bundeswehr im Besonderen hat nichts mit der „Freiheit der Lehre“ zu tun. Vielmehr zeigt die Katzbuckelei des Bremer Präsidiums, wie weit es schon um die „Freiheit“ bestellt ist, stand doch angesichts der Drohung der OHB, sich bei den anhaltenden Protesten durch Studierende und Dozenten eher für weitere Aufträge für die Bundeswehr zu entscheiden, als sich dem „Diktat“ der Zivilklausel zu beugen und diese Zusammenarbeit aufzugeben, schnell seitens der Universitätsleitung eine „Abänderung“ und oder Abschaffung der Zivilklausel im Raum, eine „Anpassung an die Entwicklungen der letzten 25 Jahre“. Damit gemeint sein könnte die Normalisierung der Anwendung militärischer Mittel in der Außenpolitik seit dem ersten Irakkrieg 1991 und dem ersten Kriegseinsatz mit deutscher Beteiligung im Kosovokrieg acht Jahre später.

Jedoch bleibt zu vermerken, dass Entscheidungen und Handlungen des deutschen Staates Änderungen in den Prinzipien und Prämissen der deutschen Hochschulen nicht zwangsläufig nach sich ziehen müssen, muss sich doch das Hochschulsystem als eigenständig und neutral zum Staat verhalten, will sie die grundrechtlich verbriefte „Freiheit der Lehre“ aufrechterhalten. In diesem Sinne sollte es auch vielmehr die Aufgabe der Universitäten und ihrer Leitungen sein, für diese Unabhängigkeit einzustehen, anstatt in Einvernehmen mit staatsgemachten Hochschulgesetzen, welche mittels ihrer Kürzungen einen „Drittmittelzwang“ ausüben, sich diesen Forderungen anzubiedern, als sei es das normalste von der Welt, dass, um es mit Habermas Worten zu formulieren, die Kolonisierung der Lehre und Forschung durch die Wirtschaft unentwegt voranschreitet! Ein Hinweis auf die Grenzen der Freiheit, die bekanntlich in der Freiheit des anderen liegen, mag hier hilfreich sein. Versteht man diese nicht nur auf das Individuum bezogen, so lässt sich eine Zusammenarbeit mit Rüstungskonzernen als eindeutiger Konflikt zwischen der Freiheit der Lehre(die natürlich auch eine negative Freiheit von etwas impliziert) und der Freiheit der Wirtschaft verstehen, in der dem Eindringen derselben, eingedenk auch der Tatsache dass sie das Geschäft mit dem Tod betreibt, Einhalt geboten werden muss.

Schnell lassen sich solche Positionen und Gedanken abtun, erfährt man „wessen Geistes Kind sie sind“. Schließlich stehen ja Parteien wie DIE LINKE oder die DKP für derartige Vorschläge, lassen sich die Urheber oft in den friedenspolitischen Bewegungen der 80er ausmachen, die heutzutage scheinbar zurecht ihre Bedeutung eingebüßt zu haben scheinen, befürworten sie doch friedliche Lösungen, wo diktatorische Machthaber die militärische Intervention im Sinne der „responsabilty to protect“ durch ihre Menschenrechtsverletzungen geradezu herausfordern. Ist es da nicht selbstverständlich, dass sich die Universitäten an der Erforschung neuer effektiverer Kriegsführung und der dafür notwendigen Technologie beteiligen, bedenkt man auch den Standortfaktor und die potenziellen Gelder, die einem verwährt blieben, insistierte man auf der Neutralität und der Friedensverpflichtung der Hochschule? Oder ist es nicht wieder ein Beispiel voreiliger Überregulierung eines gesellschaftlichen Bereiches, den man lieber seiner „Selbstfindung“ überlassen sollte, anstatt von „oben herab“ ethische Haltelinien und Kooperationsverbote auszusprechen; das liberal und progressiv klingende „Selbstverwaltung“ und eine gewisse Form ethisch-moralischer Subsidiarität schwingen dort mit. Wäre da nicht der finanzielle Alpdruck unterfinanzierter Bildungs- und damit assoziierter Forschungseinrichtungen und die ideologisch präformierte Normalisierung der ursprünglichen „ultima ratio“ Krieg, ließe sich darüber gewiss noch reden.  Doch in die friedenspolitische „Mottenkiste“ muss gar nicht gegriffen, der scheinbar utopisch pazifistische, antimilitaristische Jargon muss gar nicht bemüht werden,  fast unbemerkt, so scheint es, haben sich selbst in die Programme von SPD und Grünen zur Landtagswahl in Baden-Würtemberg Forderungen nach der zivilen und friedlichen Ausrichtung der Hochschule eingeschlichen(Was in hoffnungsvollen Herzen der Installation einer landesweiten Zivilklausel entsprechen würde) und obgleich diese Übereinkunft aus unerfindlichen Gründen[1] nicht in den Koalitionsvertrag Eingang gefunden hat, gibt es doch zu denken, dass auch etablierte Parteien, die den oben erwähnten „Änderungen seit den letzten 25 Jahren“ angepasst sind, ergo selbst schon Kriegseinsätze befürwortet und beschlossen haben,  der Universität diese Freiheit von Rüstungsforschung und Bundeswehrkooperation zugestehen.

Eingedenk dieser Tatsachen und Überlegungen, die durchaus nicht die ganze Bandbreite des Themenkomplexes abdecken, stellt sich ernsthaft die Frage, was gegen eine Zivilklausel in Gießen sprechen würde! Zum einen wäre sie ein Bollwerk und Signal gegen den Drittmittelzwang, der Universitäten und die an ihr wirkenden ForscherInnen zu Dienstleistern und Bittstellern degradiert, die gezwungen sind, profilierungswütige und profitorientierte Firmen und Institutionen Einlass in die staatsneutrale Stätte der Wissenschaft zu gestatten, zum anderen würde sie ein Zeichen setzen für Frieden und  für einen Fortschrittsbegriff stehen, der sich nicht in der stumpfen Definition der immer besseren, effektiveren Militär- oder Argumentationsstrategie, der immer präziseren Waffe oder der immer effizienteren Versorgung der Truppen erschöpft.

In diesem Sinne appelliere ich an sie, ihre Antwort vom letzten Jahr zu überdenken und sich zusammen mit dem sich in Gründung befindenden AK Zivilklausel an die Ausarbeitung einer solchen zu begeben. Unterstützen sie uns im Kampf für friedliche Forschung und Konfliktlösungen, die jenseits einer „Marschflugkörperdiplomatie“ ihre reale Wirkung entfalten können.

Da ich persönlich nicht auf dem Jour Fixe erscheinen kann, bitte ich sie, ihre Antwort eventuell schriftlich zu formulieren, und zwar so, dass sie öffentlich gemacht werden kann, was dann gemeinsam mit der Anfrage geschehen wird. Falls sie die Angelegenheit mündlich auseinanderzusetzen wünschen, würde sich entweder der nächste Termin anbieten, oder ich beauftrage einen anderen Hochschulpolitik-Referenten mit dem Gespräch.

Mit freundlichen Grüßen,

Alan Ruben van Keeken, AStA-Referent für Hochschulpolitik, Bereich Zivilklausel und Antimilitarismus und im AK Zivilklausel aktiv

Berlin, der 29. August 2011


[1] Mehr Informationen dazu bietet der Artikel auf der Webseite des Vereins Informationsstelle Antimilitarisierung, der die Vorgeschichte und das bisherige Ergebnis ins linke Licht zu rücken versucht: http://www.imi-online.de/2011.php?id=2341

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